Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tritt in Kraft
Was niedergelassene Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeuten wissen müssen

Zum 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in wesentlichen Teilen in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, digitale Produkte und Dienstleistungen – insbesondere Websites und Online-Anwendungen – barrierefrei zugänglich zu machen.
Barrierefreiheit im Sinne dieses Gesetzes liegt nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 S. 2 BFSG vor, wenn die betroffenen Produkte und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Dies bedeutet für die Gestaltung von Homepages u. a. flexible Navigationsmöglichkeiten (z. B. auch ohne Maus), eine kontrastreiche Darstellung sowie die Bereitstellung von Inhalten in leichter Sprache. Doch welche Pflichten ergeben sich daraus für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte?
Grundsätzlich verpflichtet § 3 BFSG alle Unternehmen, also auch Arztpraxen bzw. psychotherapeutische Praxen, ihre digitalen Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten, wenn sie sich direkt an den Endnutzer richten – dazu zählen auch Online-Terminbuchungen oder Videosprechstunden. Demgegenüber dürften etwa Websites mit ausschließlich informativem Inhalt – ohne gesonderte nutzerseitige Möglichkeit der Interaktion – hiervon nicht erfasst seien.
Allerdings sieht das Gesetz Ausnahmen für Kleinstunternehmen vor. Nach § 3 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 2 Nr. 17 BFSG sind Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz/einer Jahresbilanzsumme von max. 2 Mio. Euro von den Anforderungen ausgenommen, soweit es lediglich digitale Dienstleistungen i. S. d. § 1 Abs. 3 BFSG anbietet. Damit dürften viele Einzelpraxen sowie kleinere Berufsausübungsgemeinschaften formal nicht unter die Pflicht zur Barrierefreiheit fallen. Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollten jedoch prüfen, ob die Ausnahmeregelung auf sie noch anwendbar ist.
Selbst wenn das BFSG auf die Arztpraxis/MVZ Anwendung findet, ist diese nicht automatisch für die Barrierefreiheit externer Dienste verantwortlich. Entscheidend ist, wer die jeweilige Dienstleistung anbietet und betreibt:
- Eigener Betrieb durch die Praxis:
Wird z. B. eine Videosprechstunde direkt über die Praxiswebsite angeboten und betrieben, liegt die Verantwortung für die Barrierefreiheit klar bei der Praxis. - Externer Dienst mit Verlinkung (z. B. auf separate Buchungsplattform):
In diesem Fall gilt der Drittanbieter als Dienstleister – er trägt die Verantwortung für die Einhaltung des BFSG. - Integration eines externen Dienstes in die Praxiswebsite (z. B. eingebettetes Buchungstool oder iframe):
Je stärker der externe Dienst in die Praxiswebsite eingebunden ist, desto eher wird die Praxis rechtlich als Anbieterin angesehen – mit entsprechender Verantwortung. „Springt“ der angebotene Dienst auf eine andere URL des externen Anbieters, spricht dies eher für die Verantwortung des Dritten. In solchen Fällen ist aber eine individuelle Prüfung der vertraglichen Konstellation notwendig, um Rechtssicherheit zu schaffen.
Vertragsgestaltung ist entscheidend
In letztem Fall sollten Praxen sorgfältig prüfen, ob sie durch technische Integration oder Darstellung auf ihrer Website rechtlich als Anbieter auftreten. Entscheidend können u. a. Nutzungsbedingungen, Datenschutzregelungen und das konkrete Nutzererlebnis sein. Sofern ein externer Anbieter die Dienstleistung auf der Homepage der Praxis betreibt, dürfte diesen allerdings in der Regel eine eigene Verpflichtung nach dem BFSG treffen. Zur Klärung der Frage, ob und inwieweit der externe Anbieter bereits die nötigen Vorkehrungen getroffen hat, sollte dieser direkt kontaktiert werden.
Klare vertragliche Regelungen mit Drittanbietern zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten sind dringend zu empfehlen.
Ab dem 28. Juni 2025 können Verstöße gegen die Barrierefreiheitspflichten sanktioniert werden. Mögliche Folgen sind:
- Bußgelder bis zu 100.000 Euro
- Abmahnungen durch Wettbewerber
- Unterlassungsklagen
- Verwaltungsverfahren
- Reputationsschäden
Fazit
Viele Arztpraxen sind als Kleinstunternehmen zwar formal vom BFSG ausgenommen. Dennoch können sich aus der konkreten Ausgestaltung digitaler Angebote rechtliche Verpflichtungen zur Barrierefreiheit ergeben. Besonders bei integrierten Systemen sollten Anbieterstruktur und vertragliche Rahmenbedingungen genau geprüft werden – um spätere rechtliche und finanzielle Risiken zu vermeiden.
Bei Beratungsbedarf können sich betroffene Praxen auch an die Bundesfachstelle Barrierefreiheit der Knappschaft-Bahn-See wenden (nähere Informationen über die Homepage der Bundesfachstelle Barrierefreiheit).
Des Weiteren wird auf die „Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verwiesen (abrufbar unter der Pressemitteilung des Ministeriums).