Wer ist eigentlich der Patient hinter den Laborwerten?

Berufsbild Physician Assistance: Im Interview erzählt Mareike Freie, warum sie sich für ein PA-Studium entschieden hat und wie die Patienten auf ihre neue Ansprechpartnerin in der Praxis reagieren.

Physician Assistant, Praxis, Patientengespräch
© MISS GEXY S.Quindt

KVWL kompakt-Redakteur Martin Steinberg im Gespräch mit PA Mareike Freie, die in der überörtlichen Gemeinschaftspraxis Cramer – Reeker – Schröer arbeitet.

KVWL: Warum haben Sie sich dazu entschieden, das Studium zur Physician Assistant zu absolvieren?

Freie: Ich bin gelernte MTLA und hab mich immer gefragt, wer die Patientin/der Patient hinter den Laborwerten ist. Durch einen Bekannten habe ich dann von dem Studium erfahren und mich auch wegen der kürzeren Studiendauer gegen das alternative Medizinstudium und für das Physician Assistance-Studium entschieden.

Wie hat Ihr Arbeitgeber diese Entscheidung aufgenommen? Mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten?

Ich habe mich erst während meines Studiums in der Praxis beworben und will von Glück sprechen, dass Delegation durch z.B. zahlreiche VERAHs und NäPas in unserer Praxis schon vorher großgeschrieben wurde. Die drei GesellschafterInnen standen dem Berufsbild Physician Assistance von Anfang an positiv gegenüber, auch wenn wir keinen Vergleich hatten, welche Aufgaben Physician Assistants in Hausarztpraxen übernehmen können. Im Verlauf des Studiums konnte sich das Team aus GesellschafterInnen, ÄrztInnen und MFAs von meinen Fähigkeiten überzeugen, sodass das Vertrauen auf beiden Seiten wuchs und wir nun froh sind, diesen Weg gemeinsam gegangen zu sein.

Was bedeutet es für ein bestehendes Praxisteam, wenn mit dem/der PA eine weitere Hierarchie-Ebene entsteht? Wurde dieser Prozess von der Praxisleitung moderiert und begleitet?

Das Team einer Hausarztpraxis ist bunt. Neben ÄrztInnen besteht es aus MFAs, VERAHs/NäPas, Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, Abrechnungspersonal und Weiteren. Um die bestmögliche Versorgung für die PatientInnen zu erreichen sind flache Hierarchien von Vorteil. Bei uns arbeiten ärztliches und nicht-ärztliches Personal Hand in Hand. PAs werden weder den ÄrztInnen Konkurrenz machen, noch den ggf. weitergebildeten MFAs die Aufgaben nehmen.

Wir alle wissen, dass bei sinkenden Arztzahlen und steigenden Bedürfnissen der PatientInnen Delegation gefordert ist. Physician Assistants sollen ein weiterer Bestandteil dieses vielfältigen Teams sein und können zudem als wertvolles Bindeglied zwischen ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal fungieren. Ich bin in der Funktion als MFA in das Praxisteam eingestiegen und habe gleich offen kommuniziert, wie der Plan für die Zukunft aussieht, sodass meine KollegInnen meinen Weg von Anfang an interessiert mitbegleitet haben. Sobald ich in der Rolle der Physician Assistant war, wurde dies von der Praxisleitung für alle MitarbeiterInnen an allen Standorten verständlich kommuniziert und generelle Kommunikationsregeln ausgegeben.

Wie würden Sie Ihren Arbeitsalltag als PA in einer hausärztlichen Praxis beschreiben?

Mein Arbeitsalltag ist eins: vielfältig! Wenn ich nicht gerade in der PA-Sprechstunde die unterschiedlichsten geplanten Behandlungsanlässe sehe, die ich nach vorgefertigten Arbeitsanweisungen bearbeite, kommt vielleicht gerade ein Notfall mit Platzwunde rein, den ich mir zunächst angucke, bevor ich ihn dann in ärztlicher Absprache erstversorge. Wenn meine ärztlichen KollegInnen wieder mehr PatientInnen als freie Zeiten haben, übernehme ich in Absprache einige von ihnen oder starte mit vorbereitenden Handlungen wie Anamnese, körperlicher Untersuchung oder Sonographien. In der Zeit, in der stapelweise Rezepte und Verordnungen von den ÄrztInnen überprüft und unterschrieben werden müssen, beantworte ich Rückfragen der MFAs oder lese mich in den nächsten Krankenhausentlassbrief ein.

Auch für die Entwicklung meiner eigenen Fähigkeiten bietet sich häufig noch die Gelegenheit, indem ich meine ärztlichen KollegInnen bei ihren Sprechstunden begleite. Das Aufgabenspektrum hat sich seit meiner Anstellung als Physician Assistant sehr gewandelt. Als MFA in unserer Praxis zählten das Annehmen der PatientInnen, Telefonate, das Besetzen der Zimmer, die vorläufige Anamnese, zahlreiche diagnostische Untersuchungen wie LuFu, EKG, Labor und Abrechnung zu meinen Aufgaben. Inzwischen bin ich als Teil des ärztlichen Teams vor allem für die direkte Patientenversorgung im Rahmen der Delegation zuständig.

Wie erklären Sie den Patienten Ihre neue Position und wie sind die Reaktionen?

Es gibt klare Kommunikationsregeln für alle MitarbeiterInnen der Praxis an allen Standorten. Dort steht zum Beispiel drin, dass es „Füsischän Ässistent“ ausgesprochen wird, was für viele MitarbeiterInnen hilfreich ist. Auch in welcher Position ich in der Praxis fungiere, und was Physician Assistants überhaupt machen, ist dort niedergeschrieben, sodass Missverständnisse möglichst im Voraus schon vermieden werden.

Bei den PatientInnen stelle ich mich direkt als Physician Assistant vor. Nur ein Bruchteil hat Nachfragen, die ich dann gerne beantworte. Alle anderen sind einfach froh, dass ihnen geholfen wird. Wenn es Rückmeldungen von PatientInnen gibt, sind diese bislang durchweg positiv. In Zukunft wird mit Sicherheit auch negative Kritik auf mich oder Physician Assistants in Hausarztpraxen allgemein zukommen. Ich bin mir aber sicher, dass mit verständlicher Kommunikation viele Zweifel aus der Welt geschafft werden können.

Welche Vorteile hat aus Ihrer Sicht der Einsatz von PAs in Hausarztpraxen?

Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist in einer Hausarztpraxis ein anderes als im stationären Bereich. Wenn Patienten einen Behandlungsanlass haben ist meistens die Hausarztpraxis die erste Anlaufstelle. Die Patienten erwarten dann IHREN Hausarzt oder IHRE Hausärztin, oder zumindest ein bekanntes Gesicht, dem sie geläufig sind, bei denen sie nicht erst ihren Ordner mit allen möglichen Befunden herauskramen müssen, damit ihre Krankengeschichte bekannt ist.

Das Verhältnis im ambulanten Bereich ist enger. Wir kennen vielfach familiäre Hintergründe, weil die örtliche Nähe gegeben ist und können so die PatientInnen ganz anders einschätzen. Wir sehen unsere PatientInnen häufig, teilweise regelmäßig im Quartal und können Krankheitsverlaufe miterleben und mitgestalten. Hausarztmedizin ist persönlich und vielfältig und Physician Assistants können auch hier einen großen Teil zur Patientenversorgung beitragen.

Weiterführende Informationen zum Berufsbild

Neben den klassischen Weiterbildungsmöglichkeiten für Medizinische Fachangestellte (MFA) etabliert sich auch in medizinischen Assistenzberufen die voranschreitende Akademisierung. Der Physician Assistant (PA), dessen Ausbildung sowohl pflegerische als auch medizinische Aspekte beinhaltet, übersteigt die Ausbildung einer/eines MFA. Die KVWL hat die wichtigsten Antworten auf Fragen zum Berufsbild des Physician Assistant.