Praxenkollaps
Ärzte und Psychotherapeuten warnen: Flächendeckende ambulante Versorgung in Gefahr

Petition der KBV: Jetzt online mitzeichnen!
Mitte Oktober hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine Petition zur Rettung der ambulanten Versorgung beim Deutschen Bundestag eingereicht. Das Ziel: Die Politiker für die Probleme der ambulanten Versorgung zu sensibilisieren. Damit das Thema im zuständigen Ausschuss des Bundestages Gehör findet, braucht es mindestens 50.000 Unterschriften. Deshalb sind Sie als Patient und alle Ärztinnen, Ärzte und ihre Praxisteams aufgerufen, die Petition „Vergütung für medizinische Leistungen – Verbesserung der Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung“ zu unterstützen. Unterschreiben Sie jetzt! Mitzeichnungsfrist ist der 20.12.2023.
Warum dieser Protest? Ganz einfach: Die Politik lässt die Praxen – und damit Sie als Patientin und Patient – im Regen stehen. Wir haben sehr lange die Füße stillgehalten. Jetzt melden wir uns zu Wort, weil wir uns um den Fortbestand der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung sorgen. Kurz: Wir befürchten einen #PraxenKollaps. Diese Webseite ist Teil einer Kampagne, die der Öffentlichkeit und der Politik aufzeigen will, was schiefläuft.
Was ist das Problem?
Eins? Leider gibt es unzählige Probleme. Unsere Arbeit wird hauptsächlich durch diese vier Punkte gestört:
Die Zeit, die ein Arzt oder Psychotherapeut für die Behandlung von Patienten zur Verfügung hat, nimmt seit einigen Jahren stetig ab. Der wichtigste Grund dafür: die Bürokratie. Rund 7,4 Stunden verbringen Ärzte in der Woche mit Verwaltungsarbeit. Statistisch muss jede Praxis pro Jahr 60 Arbeitstage für Bürokratie aufwenden. Das sind fast drei (!) Monate im Jahr, die für die Behandlung von Patienten fehlen!
Natürlich müssen bestimmte Dinge dokumentiert werden; Bürokratie ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Aber in der ambulanten Medizin ist das vernünftige Maß bei Weitem überschritten.
Stellen Sie sich vor: Sie gehen ganz normal Ihrer Arbeit nach. Und stellen Sie sich dann vor, dass dann jemand bestimmt, dass Sie zu fleißig waren und deshalb ein Teil ihres Gehaltes einbehalten wird. Eine absurde Vorstellung? Völlig abwegig? Für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten ist das der Alltag. Budgetierung heißt der Fachbegriff dafür. Von Praxis zu Praxis wirkt dieser Mechanismus unterschiedlich. Doch es lässt sich festhalten: Im Schnitt werden etwa zehn Prozent der Einnahmen vorenthalten, weil sich Ärzte, Psychotherapeuten und ihre Teams um „zu viele Patienten“ kümmern! Auf ganz Deutschland gerechnet sprechen wir von 2 Milliarden Euro.
Neben der Budgetierung ärgert die Praxen, dass sie seit Jahren im Vergleich zu den Krankenhäusern schlechter gestellt werden. Obwohl 90 Prozent aller Krankheitsfälle von Haus- und Fachärzten in einer Praxis behandelt werden, kümmert sich die Politik zu 100 Prozent nur um Krankenhäuser.
Ein weiteres großes Ärgernis: Während Handel, Handwerk und Co. ihre Preise erhöhen und an die gestiegenen Kosten anpassen können, dürfen niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten das nicht. Die Kosten steigen, die Einnahmen bleiben gleich. Das liegt an einem komplizierten System, das zu diesem makabren Umstand führt: In den vergangenen 15 Jahren blieb die Entwicklung der Praxiseinnahmen unterhalb der allgemeinen Teuerungsrate (Inflation). Jedem muss klar sein, dass ein kaputtgespartes System irgendwann zusammenbricht.
Das Gehalt einer ausgebildeten Medizinischen Fachangestellten (MFA) liegt im Mittel bei 2.650 Euro brutto. Ärzte und MFA sind sich einig: Das ist zu wenig für diesen anspruchsvollen Job. Deshalb suchen viele MFA das Weite, die eigentlich sehr glücklich mit ihrer Arbeit in den Praxen sind.
Als Sozialversicherungsfachangestellte bei einer Krankenkasse bekommen sie 4.200 Euro brutto. Übrigens finanziert aus den Krankenkassenbeitragen der Versicherten – also von Ihrem Geld. Oder die MFA wechseln in die Pflege, wo sie staatlich gestützt ebenfalls besser verdienen können. Letzten Endes finanziert aus Steuergeld und Krankenversicherungsbeiträgen.
Im Wettbewerb um diese wichtigen Mitarbeiter haben Praxen kaum noch eine Chance. Doch ohne MFA gibt es bald keine Praxen mehr.
Die Liste ist lang und wird immer länger: Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren zig Gesetze auf den Weg gebracht, die die schlechten Rahmenbedingungen in den Praxen der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zementieren. Bei jeder neuen Idee zucken Ärzte, Psychotherapeuten und ihre Teams zusammen und fragen sich, welche sinnlose Regelungen die Politik sich diesmal ausgedacht hat.
Und das trifft natürlich auch Sie als Patient. Ein Beispiel: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat für 2023 die kostendeckende Vergütung für zeitintensive Neupatienten gestrichen. Keine gute Idee. Denn der Wegfall der Neupatienten-Regelung ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Praxen keine neuen Patienten mehr aufnehmen.
Wie ernst ist es?
Sehr ernst! Das merken Sie vermutlich am eigenen Leib. Menschen werden in Praxen nicht mehr als Patienten aufgenommen. Sprechzeiten werden reduziert, Wartezeiten steigen. Das medizinische Angebot wird heruntergefahren. Viele Praxen schließen ganz. Wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert, wird es noch schlimmer. Die deutsche Gesundheitspolitik fährt die ambulante Versorgung in den Praxen – um die uns bisher die ganze Welt beneidet – vor die Wand!
Ignoranz in Berlin
Die Ärzte- und Therapeuten haben sieben Forderungen an die Politik formuliert. Diese hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Zuge der Aktion #PraxenKollaps übermittelt. Auf die Frage von zwei Journalistinnen, wie er konkret mit diesen Forderungen umgehen möchte, antwortete Lauterbach ausweichend. Seine Reaktion sehen Sie in dem nebenstehenden Videoausschnitt.
Das können Sie tun – und so geht es weiter

Werden Sie laut, fragen Sie nach! Was tun die Bundestagsabgeordneten der verschiedenen Parteien in Ihrem Wahlkreis, um in Berlin Einfluss auf die ambulante Versorgung zu nehmen? Haken Sie nach!
Die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten und ihre Teams werden nicht einfach kleinbeigeben. Verhindern Sie mit uns den #PraxenKollaps!
Das sind die Forderungen der Praxen an die Politik
Tragfähige Finanzierung: Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
Abschaffung der Budgets: Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen!
Ambulantisierung: Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen!
Sinnvolle Digitalisierung: Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung, und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen!
Mehr Weiterbildung in Praxen: Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und Psychotherapeutenschaft ein!
Weniger Bürokratie: Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“!
Keine Regresse: Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab! Die Arzneimittelregresse müssen weg!
Meldungen zum Thema Praxenkollaps
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Apothekensterben und Praxenkollaps verhindern
Wie ernst ist die Lage in der ambulanten medizinischen Versorgung? „Sehr ernst!“, sagt Dr. Dirk Spelmeyer. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) bekennt: „Als KVWL erklären wir uns am heutigen Protesttag solidarisch mit den Apotheken- und Praxisteams. Wir haben vollstes Verständnis für ihre Aktion. Die deutsche Gesundheitspolitik führt zum Apothekensterben und fährt die ambulante Versorgung in den Praxen – um die uns bisher die ganze Welt beneidet – vor die Wand!“
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„Helfen Sie uns, den Praxenkollaps zu verhindern!“ – KVWL appelliert an Patienten
In ganz Deutschland machen Ärzte und Psychotherapeuten aktuell mit Protesten auf den drohenden Praxenkollaps aufmerksam. Die Kernprobleme lauten: Bürokratie-Wahnsinn, Unterfinanzierung, Fachkräftemangel, mangelhafte Gesetzgebung. Die KVWL ruft Patientinnen und Patienten zur Unterstützung auf.
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KVWL fordert angemessene Vergütung für digitale Prozesse
Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) spricht sich im Zuge der laufenden Finanzierungsverhandlungen auf Bundesebene für eine angemessene Vergütung von digitalen Prozessen aus.