Erstes Praxisnetz in NRW gründet ein „MVZ“

Medizinisches Versorgungszentrum ist attraktiv für ärztlichen Nachwuchs – Nachfolge für gleich zwei Hausärzte gesichert

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Bergkamen/Dortmund, 08.12.2022. – Dieses Projekt ist in Nordrhein-Westfalen bisher einmalig, und auch bundesweit ist es eines der ersten seiner Art: In Bergkamen geht mit dem Jahreswechsel das erste Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) an den Start, das Ärzte eines Praxisnetzes betreiben. Die Gründer: das „GesundheitsNetz Unna“.  Wenige Wochen bevor die beiden bisherigen Praxen ihre Türen gemeinsam als MVZ für Patienten öffnen, gratuliert Dr. Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), dem Team um MVZ-Gründer Dr. Thomas Huth: „Sie haben als Pionier einen zukunftsfähigen und attraktiven Weg eingeschlagen, um die ambulante ärztliche Versorgung in Bergkamen zu sichern. Das ist ein Meilenstein und kann ein echtes Vorbild für weitere Ärztenetze sein.“

Wie kam es zu diesem Projekt, dem Praxisnetz-MVZ, von dem es in Deutschland erst wenige gibt? Gründungsvater, Geschäftsführer und Allgemeinmediziner Dr. Thomas Huth (73) gibt einen Einblick: „Joachim Eick und Ulrich Buschmann haben lange keine Nachfolger für ihre Praxen gefunden, obwohl sie viele junge Ärzte angesprochen haben; auf diese Situation mussten wir reagieren.“ Die Zahlen zeigen, wie kritisch die Situation ist: Zwar sind in Bergkamen derzeit 23,25 hausärztliche Kassensitze besetzt, der Versorgungsgrad für die rund 79.000 Einwohner liegt damit bei rund 89 Prozent. Aber: sechs Niederlassungsmöglichkeiten sind offen. Und über 30 Prozent der Hausärzte sind bereits älter als 60 Jahre.

Ärztlichen Nachwuchs sichern

„Praxisnetze und Medizinische Versorgungszentren sind sicher kein Allheilmittel für die sich abzeichnenden Herausforderungen der ambulanten medizinischen Versorgung“, bemerkt Dr. Dirk Spelmeyer, „aber sie können an vielen Stellen belegbar die regionale Versorgung der Patienten verbessern, die Nachbesetzung von Arztsitzen erleichtern und im kollegialen Miteinander die einzelne Praxis und das Praxisteam entlasten. Mithilfe des MVZ können junge wie erfahrene Ärzte integriert werden. Die erfahrenen Ärzte können sich noch besser um den Nachwuchs und damit um die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung kümmern.“

Denn Letzteres ist beileibe nicht einfach: „Junge Menschen, die sich heute für den Arztberuf interessieren, haben den berechtigten Wunsch, Beruf und Privatleben so zu organisieren, dass beides im Alltag ausgewogen Platz findet. Sie möchten mit Leib und Seele Arzt und Ärztin sein – aber zu geregelten Zeiten und mit möglichst wenig Bürokratieaufwand. Hier können Praxisnetz und MVZ eine gute Symbiose bilden“, so Spelmeyer. (Mehr: siehe „Kurz erklärt: Medizinische Versorgungszentren“ und „Westfalen-Lippe – Land der Praxisnetze“.)

Startschuss: 2019

Rückblick: Im August 2019 schuf der Gesetzgeber endlich die Möglichkeit, dass auch Praxisnetze MVZ gründen können; dafür hatte sich insbesondere die KVWL lange stark gemacht. Thomas Huth: „Das war für uns der Startschuss. In einem Workshop der KVWL haben wir uns dann gefragt: Wie wollen wir die Zukunft unseres Ärztenetzes gestalten? Wie können wir zukunftsfähig werden und die beiden Praxen für die Menschen in Bergkamen sichern?“ Nach vielen Gesprächen und Beratungen, auch durch die Experten der KVWL, fassten die Ärzte im Praxisnetz den Entschluss, ein MVZ zu gründen. 2021 dann der größte Meilenstein: Huth und Mitgeschäftsführer Hans-Peter Nocker (68, Psychologe) einigen sich mit den beiden Hausärzten! Die Lösung: Ulrich Buschmann (69) und Joachim Eick (73) arbeiten als angestellte Ärzte im MVZ weiter mit. „Beide sind noch fit und gesund, und so können sie ihre angestammten Patienten weiterversorgen“, schwärmt Thomas Huth von der Win-Win-Situation. Der Praxisübernahmevertrag war dann schnell geschlossen – und jetzt im September schließlich der endgültige Durchbruch: Der Zulassungsausschuss in Arnsberg bewilligt den MVZ-Antrag.

Und wie geht es nun weiter? Huth: „Wir werden uns weiter mit dem Praxispersonal zusammensetzen, ein gutes Teamwork ist uns wichtig. Wo früher vielleicht Rivalität war, heißt es jetzt zusammenzuarbeiten und sich als Team zu entwickeln. Nur im Miteinander können wir erfolgreich sein“.  Und dieses neue Miteinander wirkt schon jetzt anziehend: Denn neben den beiden erfahrenen Hausärzten und Dr. Edith Kirsch, Ärztin für Innere Medizin, stößt noch Dr. Julia Grziwotz zum Team hinzu. Sie hat zuvor bei Ulrich Buschmann die Weiterbildung zur Fachärztin absolviert und jetzt ihre Zulassung als Allgemeinmedizinerin erhalten. So geht das „MVZ GNU“ zum Jahresbeginn 2023 mit insgesamt drei Kassensitzen an den Start.

„Uns geht es nicht ums Geld“

Thomas Huth ist voller Vorfreude: „Das Ganze soll ein Erfolg werden. Mit der Gründung unseres MVZ greifen wir anderen vor, die das vielleicht eher als Renditeobjekt sehen würden. Uns jedenfalls geht es nicht ums Geld, sondern um die Versorgung, deswegen investieren wir als Ärztenetz.“ So sollen künftige Überschüsse dem Praxisnetz zugutekommen bzw. eine Erweiterung des MVZ um Facharztpraxen ermöglichen. Auch die Gründung eines Gesundheitszentrums sei denkbar. Eines ist jedenfalls jetzt schon klar: Für die Zukunft haben die MVZ-Pioniere noch reichlich Ideen – sk/dm

INFOS

Kurz erklärt: Medizinische Versorgungszentren

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen mindestens zwei Ärzte, die in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Ein MVZ schafft eine Plattform für ärztlichen Nachwuchs, wo vorher nur Einzelpraxen ohne Nachfolger waren und wo die medizinische Versorgung wegzubrechen droht. Die Kooperationsform MVZ wurde mit dem Gesundheits-Modernisierungs-Gesetz 2004 eingeführt. Seitdem ist die Anzahl der MVZ stetig gestiegen. MVZ sollen eine patientenorientierte Versorgung aus einer Hand ermöglichen. Sie können fachgleich oder fachübergreifend betrieben werden. Neben Ärzten, Krankenhäusern, Kommunen, gemeinnützigen Trägern und Dialyse-Einrichtungen können auch Praxisnetze ein MVZ gründen. MVZ haben bezüglich der Bedarfsplanung oder der Abrechnung keine Vorteile gegenüber Vertragsarztpraxen. Über die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung entscheidet auf Antrag der Zulassungsausschuss der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Gesetzliche Grundlage ist § 95 des SGB V.

In Westfalen-Lippe gab es Ende 2021 insgesamt 303 MVZ (davon 116 in Krankenhaus-Trägerschaft).

Entwicklung Medizinischer Versorgungszentren in Westfalen-Lippe

In den MVZ in Westfalen-Lippe arbeiten insgesamt 1.981 Ärztinnen und Ärzte (Stand: Juli 2022, Grafik hierzu auf www.kvwl.de/mvz):

  • 92 Prozent sind angestellte Ärztinnen und Ärzte (1.542 Fachärzte, 195 Hausärzte, 93 Psychotherapeuten = insgesamt 1.830 Ärzte)
  • 5 Prozent sind als Vertragsärztinnen und -ärzte tätig (96 Fachärzte),
  • 3 Prozent sind angestellte Jobsharer (55 Fachärzte).

Bundesweit gab es Ende 2021 insgesamt 4.179 MVZ. Zum Vergleich: Ende 2020 waren es 3.846.

  • In den MVZ arbeiten bundesweit 25.754 Ärztinnen und Ärzte.
  • 93 Prozent sind als angestellte Ärztinnen und Ärzte tätig, 7 Prozent sind Vertragsärztinnen und ‐ärzte.
  • Im Durchschnitt arbeiten 6,2 Ärztinnen und Ärzte pro MVZ.
  • Der überwiegende Teil der MVZ‐Träger sind Vertragsärztinnen und ‐ärzte (44 Prozent) und Krankenhäuser (42 Prozent), ein kleinerer Teil sind MVZ in sonstiger Trägerschaft (13 Prozent).
  • Die bevorzugten Rechtsformen sind die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).
  • Hausärzte, Chirurgen und Orthopäden sowie fachärztliche Internisten sind die Fachgruppen, die am häufigsten in MVZ vertreten sind.

Quellen: Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Grafiken zu bundesweiten Zahlen und weitere Informationen: www.kbv.de/html/mvz.php 

Westfalen-Lippe – Land der Praxisnetze

Sie heißen MuM, MAN, RANIQ, Lennetz, BOHRIS oder MedNet – unter dem Motto „Gut vernetzt, gut versorgt“ sind sie gerade in Westfalen-Lippe ein Erfolgsmodell. Von lockeren, informellen kollegialen Kooperationen haben sich Praxisnetze zu leistungsstarken Zusammenschlüssen mit einheitlichen Qualitätsstandards und innovativen Versorgungsformen entwickelt, die inzwischen auch Medizinische Versorgungszentren gründen und betreiben dürfen. Westfalen-Lippe hat diese positive Entwicklung der Ärztenetze entscheidend vorangetrieben. Von bundesweit rund 90 anerkannten Praxisnetzen befinden sich 24 in Westfalen-Lippe. Damit liegt dieser Landesteil Nordrhein-Westfalens bundesweit an der Spitze. – Mehr: www.kvwl.de/praxisnetze

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