Planetary Health: Die klimaneutrale Praxis
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz – diese Aussage stellt inzwischen niemand mehr infrage. Deshalb ist es entscheidend, dass Nachhaltigkeit auch im gesamten Gesundheitswesen konsequent umgesetzt wird. Das bedeutet einerseits, Ressourcen zu schonen und mitzuhelfen, die Erderwärmung einzudämmen (Mitigation); andererseits müssen sich Abläufe und Infrastruktur auch an die bereits merklichen Veränderungen anpassen (Adaptation).
Doch was bedeutet das für Arztpraxen? Wie können niedergelassene Ärzte einen aktiven Beitrag leisten? Zum Beispiel mit den nachstehenden Maßnahmen:
Klimaneutralität. Nachhaltigkeit. Grüne Arztpraxis. Das Thema Klimaschutz ist auch bei den niedergelassenen Ärzten angekommen. Viele möchten etwas tun, fühlen sich aber „overnewsed but underinformed" (deutsch: mit Nachrichten überschwemmt, aber zu wenig informiert). Und tatsächlich gibt es sehr viele Ansatzmöglichkeiten, von denen jede einzelne ein wichtiger und richtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der eigenen Praxis ist.
Hilfreich kann hier eine Bestandsaufnahme sein, und zwar mit einem professionellen Blick. Mit dem Klimarechner von Wilderness International kann jede Praxis ihren ökologischen Fußabdruck ermitteln und so herausfinden, wie sich mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel CO2 einsparen lässt.
Es mag zwar überraschen, aber laut der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) trägt der Gebäudesektor „nur“ 6,9 Prozent zu den Treibhausgasemissionen einer durchschnittlichen Arztpraxis bei. Dennoch stecken gerade hier oft sogenannte „Low Hanging Fruits“. Dieser Begriff stammt aus der Wirtschaft und beschreibt Arbeiten, die mit wenig Aufwand erledigt werden können und trotzdem einen großen Ertrag bringen.
Übertragen auf den Weg zur klimaneutralen Praxis, sind mit den „niedrig hängenden Früchten“ schnelle, leicht umsetzbare CO2-Einsparmaßnahmen gemeint, die immens effektiv sind. Dazu zählen u.a.:
- Umstellung auf Ökostrom
- Möglichkeit der Eigenproduktion prüfen (z.B. Photovoltaik)
- Einsatz von LED-Beleuchtung
- Nutzung von Bewegungsmeldern, um Dauerbeleuchtung zu vermeiden
- Verwendung von Master-Slave-Steckdosen anstatt Standby-Modus
- Umrüstung auf wassersparende Armaturen oder Nutzung von Perlatoren oder Luftsprudlern
- Stoßlüften
- Dämmung und Verschattung (z.B. Sonnenschutzfolien) statt Klimaanlage
Der Materialeinkauf macht einen wesentlichen Teil des CO₂-Fußabdrucks einer Praxis aus. Für den nicht-medizinischen Praxisbedarf gibt es bereits viele Möglichkeiten, klimaverträglich einzukaufen. Auch für klimaneutrale Medizinprodukten gibt es zunehmend Angebote. Prinzipiell hilft der Grundsatz der „5-R“:
refuse: Vermeiden unnötigen Konsums
- Werbesendungen abbestellen
- Verzicht auf Produktproben von Pharmavertreter:innen
- sinnvoller Einsatz von Einmalhandschuhen
reduce: Einsatz von Verbrauchsgütern reduzieren
- Nutzen Sie Einwegmaterialien sparsam (Putztücher, Verbände, Sterilgut, Papierrollen für Liegen). Hinweis: Papier auf der Untersuchungsliege ist aus Hygienegründen nicht erforderlich, da die Liege sowieso abgewischt werden muss, jedoch Komfort-Aspekt bei nackter Haut.
- Sparen Sie Papier durch die Digitalisierung von Prozessen (z.B. papierlose Befundübermittlung von Labor- und Arztbriefen, digitale Patientenanmeldung)
- Bestellen Sie Produkte in Großverpackungen bzw. Nachfüllpackungen (z.B. Sonographie-Gel, Seife, Putzmittel), kooperieren Sie ggfs. mit anderen Gesundheitseinrichtungen. Vorsicht: Hierbei sind die gängigen Hygienerichtlinien zu beachten.
reuse: Wiederaufbereitung und Mehrfachverwendung
- Steigen Sie von Einwegprodukten auf wiederverwendbare Produkte um (z.B. Nierenschalen, Tonerkassetten).
- Schließen Sie sich ggfs. mit umliegenden Praxen/Krankenhäusern/Laboren für die Wiederaufbereitung von Material zusammen.
- Kaufen Sie gebrauchte IT-Hardware.
recycle: Wiederaufbereitung und Mehrfachverwendung
- Nutzen Sie recycelte/recyclebare Materialien.
- Stellen Sie z.B. Ihre Papierwaren auf 100% Recycling-Papier um (Schreibpapier, Toilettenpapier, usw.).
- Achten Sie auf eine konsequente Mülltrennung und recyclen Sie nach Möglichkeit.
- Versuchen Sie Müll zu vermeiden.
repair/rethink: Gewohnheiten hinterfragen
- Reparaturen statt Neukauf
- keine Nutzung von Einmalhandschuhen beim Impfen
- Bündeln Sie Ihre Bestellungen und achten Sie darauf möglichst wenig Einzellieferungen zu veranlassen.
- Bieten Sie Mitarbeitenden und Patienten möglichst Leitungswasser an.
- Hinterfragen und überprüfen Sie regelmäßig den sinnvollen Einsatz von Desinfektionsmitteln. Eine Faustregel besagt, dass der Nutzen von Flächendesinfektion tendenziell überschätzt und der Nutzen der Händedesinfektion hingegen eher unterschätzt wird.
Kauf nachhaltiger Produkte
- Beziehen Sie Ihren Bedarf, wo möglich, aus fairer, nachhaltiger Herstellung.
- Beachten Sie bei Ihrer Kaufentscheidung, ob es Alternativen aus der Region, Deutschland oder der EU gibt.
- Anhaltspunkte bieten Siegel z.B. „Blauer Engel“ oder „EU Ecolabel"
- Bitte bedenken Sie generell, dass klimaneutrale Produkte dieses Label lediglich durch den Kauf von Zertifikaten erhalten.
Medikamente sind mit Abstand für den größten Teil der Treibhausgasemissionen von Arztpraxen verantwortlich.
- Besonders bei älteren Patienten ist Polymedikation ein häufiges Problem. Vor allem bei langen Medikamentenlisten sollten Sie überprüfen, ob diese noch aktuell sind.
- Dosieraerosole enthalten Treibgase. Für eine durchschnittliche Praxis sind die Klimaauswirkungen der verschriebenen Dosieraerosole stärker als die Klimaauswirkungen von Strom und Heizung zusammen! Setzen Sie daher – soweit medizinisch mindestens gleichwertig – Pulverinhalatoren ein.
- Meiden Sie Medikamentenproben von Pharmavertretern.
Ob die Anfahrt von Personal und Patienten in die Praxis oder der Hausbesuch – nach wie vor wird der Großteil dieser Wege mit dem Auto zurückgelegt. Wer hier auf den ÖPNV, das (E-)Fahrrad oder auch E-Auto umsteigt, senkt nicht nur den CO2-Ausstoß, sondern fördert auch die Gesundheit – die des gesamten Praxisteams und die der Patienten. Folgende Maßnahmen können als Inspiration dienen:
Fürs Praxisteam
- Nutzung eines Job-Tickets oder Dienstrades
- Anschaffung eines E-Autos als Praxisfahrzeug
- Anreise zu Kongressen oder Seminaren mit dem Zug
- Hausbesuche nach Möglichkeit zu Fuß oder per Fahrrad
Für Patienten
- Hinweis zur Erreichbarkeit der Praxis per ÖPNV/Fahrrad
- Ausreichend sichere Fahrradstellplätze
- Gute telefonische und digitale Erreichbarkeit, inkl. Videosprechstunde, kann Praxisbesuche ersetzen
Beim Klimaschutz im Gesundheitswesen stehen zwei Aspekte im Fokus:
- die aktuelle Gesundheitsversorgung an klimabedingte Herausforderungen anpassen
- den CO2-Fußabdruck des Gesundheitswesens minimieren
Hier die wichtigsten Gründe, weshalb Digitalisierung und Telemedizin diese Anforderungen erfüllen.
Reduzierung von Papierverbrauch und Abfall
Durch die Digitalisierung von Patientenakten, Terminplanung und Rezepten kann der Verbrauch von Papier erheblich reduziert werden. Dies trägt nicht nur zur Reduzierung von Abfall bei, sondern spart auch Ressourcen und Energie, die für die Herstellung von Papier benötigt werden.
Verminderung von Fahrten und CO2-Emissionen
Telemedizin ermöglicht es Patienten, medizinische Beratung und Behandlungen online in Anspruch zu nehmen, ohne dass sie physisch in die Arztpraxis kommen müssen. Dies reduziert die Notwendigkeit von Autofahrten und damit auch den Ausstoß von Treibhausgasen.
Effizientere Nutzung von Ressourcen
Durch den Einsatz digitaler Technologien wie elektronische Patientenakten und Telekonsultationen können Ressourcen wie Papier, Energie und Zeit effizienter genutzt werden. Dies trägt nicht nur zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks bei, sondern erhöht auch die Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung.
Flexibilität und Zugänglichkeit
Telemedizin ermöglicht es Patienten, unabhhängig von ihrem Standort oder ihrer Mobilität medizinische Beratung und Behandlungen in Anspruch zu nehmen. Dies trägt dazu bei, die Gesundheitsversorgung für alle zugänglicher zu machen und reduziert die Notwendigkeit von Reisen zu Arztpraxen oder Krankenhäusern.
Klimaschutz ist auch eine Frage des Geldes. Und zwar nicht nur, wenn es beispiesweise darum geht die energetische Praxissanierung zu finanzieren; nachhaltiges Finanzmanagement spiegelt sich auch in der Wahl der Hausbank, des Kredits oder einer Geldanlage wider. Nach wie vor investieren viele Banken in fossile Energien wie Erdgas oder Erdöl. Die Deutsche Ärzteversorgung besitzt über 110 Milliarden Euro Rücklagen, viele ihrer Investitionen gelten allerdings als klimaschädlich. Experten, etwa von KLUG (Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit), appellieren deshalb an die Ärzteschaft:
- Wechseln Sie auch mit Ihren Praxisfinanzen zu einer nachhaltigen Bank.
- Wählen Sie eine nachhaltige Versicherung.
- Investieren Sie nach ESG (Environmental, Social, Governance)-Kriterien.
- Nehmen Sie Ihr Versorgungswerk in die Verantwortung.
- Nehmen Sie die Ärzte- und Apothekerbank in die Verantwortung
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Wege zur Klimaneutralität in der eigenen PraxisHandout der Planetary Health Academy
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Handlungsfelder in Arztpraxen zur KlimaneutralitätInformationen der Bundesärztekammer
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Projekt Transformative ArztpraxenKlimaschutz in der Arztpraxis durch klimagerechte Patientenberatung
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Klimabewusste Verordnung von inhalativen Arzneimitteln – ImplementierungshilfeKurzversion der Leitlinie